Forscher haben jetzt herausgefunden, wie das kontrollierte Abschalten von Genen bei der Zelldifferenzierung vonstattengeht.
Es ist schon ein Wunder, wenn man sich vorstellt, dass wir alle aus einer einzigen Zelle entstanden sind. Diese Urzelle hat sich geteilt und spezialisiert, bis ein kompletter Mensch entstanden ist. Sie muss also eine allmächtige Zelle sein, denn auf sie sind letztendlich alle Zellen Deines Körpers, von den Sehzellen im Auge bis zu denen des letzten Zehs, zurückzuführen. Und so ist es tatsächlich: Die sogenannten Stammzellen sind praktisch unsterblich, sie können sich unbegrenzt teilen und zu ganz unterschiedlichen Zelltypen heranreifen. Das macht es möglich, dass neue Strukturen, Gewebe oder auch ganze Organe entstehen und verletzte Anteile geheilt werden können.
Immer wenn sich diese Stammzelle genau mittig (symmetrisch) teilt, entstehen zwei identische Tochterzellen. Teilt sie sich dagegen unsymmetrisch, entsteht eine weiterhin teilungsfähige Stammzelle und eine spezialisierte Zelle, z.B. eine Gewebezelle. Die differenzierte/spezialisierte Zelle kann sich nur noch in ihresgleichen teilen. Das liegt daran, dass einige Gene während des Entwicklungsprozesses der Zelle schrittweise abgeschaltet werden. Am Ende kann sich die ausdifferenzierte Zelle weder teilen noch weiterentwickeln [1].
Wie das mit der kontrollierten Abschaltung von Genen genau passiert, wollten Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) jetzt genauer wissen. Dazu haben sie die Veränderungen im Genom während der Entwicklung einer Stammzelle zur Nervenzelle untersucht. Sie fanden heraus, dass sich die Stammzellen im Gehirn quasi zur Umwandlung in Nervenzellen „entscheiden“, indem sie über die Produktion bestimmter Signalstoffe die Aktivität der Gene selbst regulieren. Diese molekularen Signale („mTOR“ engl. Abkürzung für mechanistic Target of Rapamycin, genannt) werden in Stammzellen (wie z.B. das Knochenmark für Blutstammzellen) gebildet verschiedene Enzyme aktiviert. bindet an die Ziel-Gene. Diese Enzyme sorgen dafür, dass bestimme Proteine gebildet werden und die Zelle nicht mehr wachsen kann. Das wird bereits in der Behandlung von Krebs genutzt. Es gibt Medikamente, die mTOR hemmen und so das Wachstum von einigen Krebsarten, wie z.B. Nierenzellkrebs oder neuroendokrine Tumoren, behindern können.
Entgegen der bis dato bekannten Mechanismen, scheinen die Stammzell-Gene (also diejenigen, die für die Omnipotenz der Stammzelle verantwortlich sind) allerdings bei der Nervenzellentwicklung nicht komplett abgeschaltet, sondern in einer Art Warte- bzw. Ruhemodus gehalten zu werden.
Abgeschaltete Gene können keine Eiweißproduktion mehr veranlassen. Auch bei den ausgebildeten Nervenzellen führt die Ablesung der Gene im Ruhezustand nicht zur Produktion von Proteinen, aber die Möglichkeit, sich wieder in Stammzellen zurück zu verwandeln, bleibt gegeben [2].
Das TOR-Signal scheint also an- und abschaltbar zu sein, so dass sich eine Stammzelle zur Nervenzelle und diese wieder zurück zur Stammzelle entwickeln kann [4]. Bleibt nur die Frage: Was hat das für Konsequenzen?
Die therapeutischen Möglichkeiten durch Kontrolle des TOR-Signals
Man kann sich gut vorstellen, dass gesundes Wachstum und Entwicklung nur möglich sind, wenn die Signale zur Differenzierung bzw. zur Beibehaltung des Stammzellenstatus akribisch kontrolliert werden. Würde sich dagegen eine omnipotente Zelle unkontrolliert teilen, könnte schnell eine Krebsgeschwulst entstehen. Und tatsächlich hat man bei vielen Krebsarten einen deutlich erhöhten TOR-Spiegel gefunden. Also ist offensichtlich bei der Kontrolle des TOR-Signals durch die Stammzelle etwas schief gegangen, so dass sich die eigentlich für eine spezielle Funktion vorgesehenen Zellen immer wieder in eine Stammzelle zurückentwickelt haben und sich dadurch der Krebs entwickeln konnte. Im Falle der Nervenzellen hätte die wiederholte Rückführung von Nervenzellen zu Stammzellen u.a. einen Hirntumor zur Konsequenz. Für die Medizin gilt es daher jetzt herauszufinden, wie die TOR-Aktivität kontrolliert werden kann, um die Entstehung von Krebs frühzeitig zu unterbinden.
Heutzutage werden Stammzellen schon im Labor gezüchtet, um die Wirkung von Arzneimitteln nachvollziehen zu können. Die Forscher können beispielsweise aus Hautzellen eines Menschen inzwischen ein zartes Herzgewebe züchten, das pulsiert wie das ausgewachsene Organ. Dazu führen sie ausgewachsene Zellen zurück in den Stammzellenmodus und initiieren die Differenzierung zum gewünschten Zelltyp. Demnach kann man blockierte Gene u.a. durch Wachstumsfaktoren zur Entwicklung in einen bestimmten Zelltyp zwingen. Man erhofft sich dadurch, langfristig kranke Gewebe im Patienten entfernen und durch neu gezüchtete ersetzen zu können. Zur Perfektionierung und zielgerichteten Züchtung müssen aber viele Studien durchgeführt und noch viele offene Fragen geklärt werden.

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- Wissensschau, 09.11.2018, Was sind Stammzellen?, abgerufen am 16.07.2019.
- DocCheck, 11.02.2019, Stammzellen: Reise zum Neuron immer mit Rückflugticket, abgerufen am 16.07.2019.
- Köhlstädt, Sibylle in dkfz, 31.01.2019, Wie sich Stammzellen im Gehirn in neue Nervenzellen verwandeln und warum dabei Krebs entstehen kann, abgerufen am 16.07.2019.
- Baser, Avni et al., 30.01.2019 in nature 566, pages100–104 (2019), Onset of differentiation is post-transcriptionally controlled in adult neural stem cells, abgerufen am 16.07.2019.